Burnout Diaries

Ich habe sehr lange dagegen angekämpft, dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Die Tatsache selbst, dass es in mir - 7 Monate nach dem alles verändernden Frühlingsmorgen, an dem mein Zerbrechen und Erwachen begann, - noch immer Unbehagen auslöst, den Satz auszusprechen: „Ich hatte / habe einen Burnout“, könnte noch immer Bände sprechen.  

Aber, genau weil es mir immer noch so schwerfällt, mich dazu zu bekennen, werde ich es tun. Weil ich mich selbst mit dem gleichen Maßstab messen möchte, den ich anderen gegenüber anwenden würde: der „Maßstab“ hat auch anderen gegenüber keine Härte. Er appelliert auf den Mut zur Offenheit und Bekenntnis, auf den Mut, sich selbst anzunehmen und zu der inneren Wahrheit zu stehen und diese zuversichtlich ins Leben zu tragen.

Es fällt mir noch immer schwerer, (eine empfundene) Schwäche zu zeigen, als die Fassade zu wahren, und mich möglichst stark darzustellen. Es fällt mir noch immer schwerer, meine Verletzlichkeit zuzugeben und an realistischen äußeren Erwartungshaltungen zu arbeiten, als meine Bedürfnisse auch in der Außenwelt offen(er) zu kommunizieren und für ihre Erfüllung einzustehen. Es fällt mir schwerer, aber es ist mir nicht mehr unmöglich – wie es früher war. Und das ist an sich schon eine wundervolle Entwicklung auf meiner Reise, die mir Hoffnung macht und glauben lässt: ich habe viel dazugelernt, ich bin nicht den Umständen ausgeliefert und ich habe den Zugang zu einer gesunden (rücksichtsvollen) Selbstbehauptung gefunden – etwas, was ich vor dem letzten Jahr nicht geglaubt hätte.


Das Leben ist im Fluss

Wir alle kennen die weisen Sprüche, und doch tun wir uns oft so schwer, die Prozesse unserer menschlichen Entwicklung als solche anzuerkennen und denen ihre Zeit und ihren Raum zu geben. Wer sich (vor allem geistig, seelisch) verletzt, oder sich sogar ausbrennt, hat meistens einen längeren Weg hinter sich, der zu den Tiefpunkten geführt hat. Ein Zusammenbruch, ein Burnout passiert gewiss nicht über Nacht, aus dem Nichts kommend. Ist man einmal im Tal der Tränen gelandet und versucht sich zu sortieren, wird es einem schnell klar:


”Der Blick nach vorne, das Aufbauen, Entdecken, neu Kalibrieren erweist sich nämlich fast schwieriger für mich als der Blick in die Vergangenheit, als das Verständnis dessen, was einem überhaupt zum Bruch geführt hat. Was alles in der eigenen Persönlichkeit, in der Sozialisierung, in der Erziehung, in den gesellschaftlichen Normen, in den menschlichen Beziehungen ihren Teil dazu beigetragen hat, den Zug nun mal gegen die Wand zu fahren.


Was einem zu dem Menschen werden ließ, der den Zug zu schnell zu fahren, nicht anhalten zu können, und aus dem auch nicht rechtzeitig vor dem Crash aussteigen zu können. Vielleicht, oder sogar sehr wahrscheinlich deswegen, weil ich mich lange genug mit mir selbst, mit meinem Gepäck und meinen Prägungen beschäftigt habe, und mir dadurch ganz viel davon über die Jahre bewusst machen konnte. Verstehen, was mich in die verheerende Situation geführt hat, fiel mir gar nicht mal so schwer. Ob es leicht war, anzunehmen, ist natürlich eine andere Frage, die ich ganz eindeutig mit Nein beantworten kann. Es hat mich mehr denn je traurig und wütend gemacht, enttäuscht (von mir selbst), warum ich die Kurve nicht noch einmal kriegen konnte. Es gab viele Selbstvorwürfe, Scham, Schuldgefühle – das Geschehene anzunehmen hat auch mit dem kognitiven Verständnis eine Weile gedauert. Überrascht war ich nicht. Aus dem Nichts kam es nicht. Leider hat es sich fast selbsterklärend angefühlt. Aber, ich kann heute mit Gewissheit sagen: Der Teil des Aufarbeitens war nichts im Vergleich zu der Neuorientierung, zu dem Wiederaufbau, zum Blick nach vorne.

Was nun?

Was tue ich jetzt, dass alles indiskutabel in Trümmern steht, dass das Alte in mein Gesicht explodiert ist und nichts bleiben kann, wie es mal war? Was kommt nun? Was fange ich mit all den Erkenntnissen an, mit den Verlusten – die großteils (oder gänzlich) notwendig waren, mit der Chance, ein „leeres“ Blatt beschreiben zu dürfen? Es ist mir erst in den letzten Monaten des Prozesses bewusst geworden: die Arbeit, die von mir steht, fordert mich fast mehr aus. Es war auf einer gewissen Art „leichter“, mit den bekannten Geistern der Vergangenheit zu leben, mit denen zu verhandeln, sie kontrollieren zu wollen – so gut es einem halt gelingen konnte. Es war immerhin bekannt, es war „selbstverständlich“, gewohnt, berechenbar. Man kannte die Spielregeln, die Einsätze, die Gefahren, die möglichen Ausgänge.

 

EIGENVERANTWORTUNG

Vor den Ruinen der inneren und äußeren Welt zu stehen und zu begreifen, dass man nicht mehr zu altbekannten Methoden greifen kann, nicht mehr mit den bisher bekannten Mitteln operieren kann, ist anfangs eher quälend. Weil es einem viel Angst einjagen kann und die Aufgabe knallhart präsentiert: es ist Zeit, Eigenverantwortung (großgeschrieben!) zu übernehmen, sich in die Pflicht zu nehmen, die richtigen Fragen zu stellen, und das eigene Leben ehrlicher, denn je auf die eigenen Werte auszurichten.

So schön, wichtig und richtig die Aufgabe auch ist, zu mehr Selbstbestimmung und Integrität zu finden, so herausfordernd ist es auch zur gleichen Zeit.

Ein Leben, die Art und Weise zu sein, ganz neu zu definieren, nach den eigenen Prinzipien zu entwerfen, diese auch zu kommunizieren, durchzusetzen, und zu festigen: wie viele von uns tun das wirklich?

Wie viele von uns erleben das in relativ jungen Jahren? Wie viele von uns haben die Chance & Lebensaufgabe, aus der unbewussten Fremdsteuerung von jetzt auf sofort auszusteigen und so ziemlich alles für sich neu zu erfinden? Alles erscheint unsicher, unbekannt, unerprobt; und auch privilegiert, zur gleichen Zeit. Man fragt sich ununterbrochen: muss und darf ich das jetzt wirklich tun? Darf und muss ich mir das jetzt erlauben? Wie wird meine bisherige Welt auf all diese Veränderungen reagieren? Was/wer wird einem dabei noch verloren gehen? Wie viel Veränderung verträgt ein Mensch auf einmal wirklich? Kann man das alles noch halten? Werden die neuen Linien, Prinzipien, die Grenzen halten? Was braucht es, diese zu stabilisieren, oder wo es sein muss, zu verteidigen?

Ich tue mir nicht leicht damit, das Neue zuzulassen. Ich weiß, dass ich gerade meine eigenen Wege erkunde – und es fällt mir schwer, nicht an diesen zu zweifeln. Die Ziele sind unklar, die Pfade nicht begangen. Die Verantwortung liegt bei mir. Ich habe die Freiheit und das Privileg, Entscheidungen zu treffen. Das macht mich zu Zeiten neugierig, demütig und hoffnungsvoll, bis mich wieder eine Welle an Angst erreicht, und das Unbekannte mehr bedrohlich wirken lässt.


Es ist ein Prozess.

Es ist DAS Leben in Fluss. Ich weiß, dass ich mich tief im Inneren auf einem guten Weg befinde – weil ich es als Geschenk und nicht mehr als Strafe erlebe. Ich weiß, dass ich für keinen Preis der Welt zum Alten zurückkehren möchte. Die Versuchungen sind allgegenwärtig, diese sind mir auch sehr bewusst, und ich schaffe es immer besser, denen nicht nachzugeben. Nicht den bekannten, „leichteren“ Weg zu nehmen. Jeder solche Moment ist ein Siegeszug für sich, jeder solche Moment bestärkt mich, und baut das Vertrauen auf, dass ich es schaffen kann. Ich will nicht nach zurück. Ich möchte nach vorne. Wenn es mir schon so ermöglicht wurde: Ich wähle Wachstum, ich wähle das Lernen, ich wähle mich.


Es ist nicht mit dieser einen Entscheidung abgeschlossen.
Die braucht es nämlich täglich, in jeder einzelnen alltäglichen Herausforderung, immer wieder aufs Neue.


Es kann Schritte nach vorne geben, wie es auch Schritte nach hinten gibt. Solange man sich den Prozess, das Werden erlaubt, ist zumindest die Richtung richtig. Ich hatte einen Burnout. Meine Welt ist in Flammen aufgegangen und ich habe jede Kraft gebraucht, das Brennen durchzustehen. Ich befinde mich auf dem Weg der Genesung, auf dem Weg der Neuaufbau. Ich bin am Werden – und ich bin dankbar dafür, das bewusst erleben zu können. Und um diesem Werden gerecht zu werden, ich werde über den Weg nicht mehr schweigen.

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